Die „Wilde Bühne“ skizziert im Achimer Cato die Gefahren des Internets
Achim – Maria hat ihrem Freund Lennart vertraut und ihm ein Nacktbild von sich geschickt. Doch kurz nach der Trennung stellt er es ins Netz, wo es von ihren Klassenkameraden weiter geteilt wird. „Ich habe ihn geliebt“, erklärt sie ihren verärgerten Eltern. Die „Wilde Bühne“ aus Bremen skizziert mit ihren Darstellenden in der Aula des Cato Bontjes van Beek-Gymnasiums eine Geschichte, wie sie im alltäglichen Leben stattfindet. Es ist eine von mehreren, die sie in ihrem Programm „Netzspannung“ zeigen. Das Besondere des Formats ist, dass die Schüler Teil des Stücks werden und dem Verlauf der Erzählung auf der Bühne eine Wendung geben können.
So fragen Jana Köckeritz und Michaela Uhlemann-Lantow, die Gründerinnen der „Wilden Bühne“, in ihrer zweiten Vorstellung an der Schule die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge acht bis zehn: „Wie könnten sich die Personen für ein gutes Ende anders entscheiden?“ Eine Schülerin findet, die Eltern hätten Maria in Schutz nehmen und die Polizei einschalten sollen. Erst gar nicht solche Bilder zu verschicken, sagte ein Achtklässler.
Zwischen Glücksspiel und Gewaltvideos
Schließlich traut sich Ibrahim aus der achten Klasse auf die Bühne, um die Rolle des Vaters zu übernehmen. „Ich möchte vernünftig mit Maria reden und dafür sorgen, dass sie das nicht noch einmal macht“, hat er sich vorgenommen. Das gelingt ihm letztlich auch in seiner Rolle, aus der er nach wenigen Minuten wieder schlüpfen darf. Für seinen Mut und die gute Umsetzung gab es viel Applaus. Wie generell für das überzeugende Spiel der Mitwirkenden.
Sie alle haben in ihrer Vergangenheit mit Sucht und Drogen zu tun gehabt. Sehr häufig sind sie schon mit elf, zwölf oder 13 Jahren mit ersten Drogen in Kontakt gekommen, wie sie später noch erzählen werden. Die Sucht haben sie hinter sich gelassen, denn nur clean dürfen sie bei der „Wilden Bühne“ mitwirken. Bei „Netzspannung“ geht es um die Gefahren in der digitalen Welt und um den Rausch, der entstehen kann. Eine der Geschichten handelt vom Glücksspiel im Netz, eine andere von Gewaltvideos, aber auch Mobbing wird thematisiert.
Auf der Suche nach Lösungen
In der zweiten Geschichte geht es um Matz. Anders als seine Mitschüler kann er keine Videos aus dem Urlaub am Strand oder von der Spritztour mit dem teuren Mercedes posten. Was er nicht sieht, ist die Essstörung, die seine Mitschülerin Sarah zu haben scheint, um in ihrem Bikini glänzen zu können. Er sieht nicht, dass sein Mitschüler Ron die Ferien zwar luxuriös, aber von den Eltern allein gelassen verbringt, da die sich mehr mit ihrer Scheidung als ihm beschäftigen.
Was Matz wiederum nicht zeigt, ist die häusliche Gewalt, die von seinem arbeitslosen Vater ausgeht, der dem Alkohol verfallen ist. Wie kann diese Situation zum Besseren gelöst werden? Auf der Bühne möchte der Achtklässler Jan als Vater von Matz die Situation kitten. Er kommt in der Rolle aus der Therapie, zeigt Einsicht, entschuldigt sich bei der Familie und bittet um eine neue Chance. Was im Stück einigermaßen gelingt, ist nur allzu selten die Realität. „Das Leben ist leider anders, ich selbst habe mir immer wieder vorgenommen, mich zu ändern. Ihr dürft dem anderen vertrauen, aber nicht bedingungslos“, erzählt Mitspieler Jörg, der selbst alkoholabhängig war. „Kinder haben ein Recht darauf, abweisend zu sein, Wut auf das Verhalten zu empfinden“, ergänzt Uhlemann-Lantow.
Eine andere Variante darf Schüler Joost in der Rolle des Ron spielen. Er spricht Matz auf seine blauen Flecken an und gesteht, dass es auch bei ihm Probleme gibt und nicht alles so perfekt ist, wie es nach außen hin scheint. Für den 30-jährigen Paul, der als Matz auf der Bühne stand, eine ungewohnte Erfahrung, wie er kurz darauf erzählt.
„Dass er sich geöffnet hat, hat auch mich geöffnet und schafft eine gute Basis.“ Er selbst hätte sich eine solche Ansprache in seiner Jugend von seinen Freunden gewünscht. Und auch Marlon aus den Reihen der „Wilden Bühne“, der Ron eigentlich dargestellt hat, hätte sich im Nachhinein gewünscht, dass er über die häusliche Gewalt in seiner Familie hätte reden können. „Ich hätte nie gedacht, dass darüber zu reden hilft.“
Artikel von Anne Leipold in der Kreiszeitung, erschienen am 26.11.24