7 Jahre Wilde Bühne
Rita R., 58, seit sieben Jahren bei der Wilden Bühne, schildert mit beeindruckender Nüchternheit ihre Biographie. Gelernte Bankangestellte, Arbeitslosigkeit, Kassiererin, Familie, gescheiterte Ehe, seit 1992 trockene Alkoholikerin. Rückzug aus dem privaten und beruflichen Dasein, ausgiebiges Phantasieren in Bücherwelten. Stationäre und ambulante Therapien, Selbsthilfegruppen.
Sie ist inzwischen glückliche, wenn nicht sogar überglückliche Oma geworden, auch Rentnerin, sieht sich nach siebenjähriger Zugehörigkeit im Ensemble als „Bühnen-Dino“, genießt das Alleinleben und hat inzwischen ihr Leib- und Magengetränk gewechselt: seinerzeit Apfelschorle, jetzt Wasser mit Minze.
Ihr sechs Jahre alter Wunsch, die Wilde Bühne möge „politischer“ werden, ist im Wesentlichen in Erfüllung gegangen. Mit z.B. „Wir gegen die Anderen“, ein Stück gegen Rechtsradikalismus und dem „Take care“ –Projekt mit jungen Geflüchteten. Oder mit der frauenpolitischen Relevanz des Stücks „Unser Flüssigbrot“, eine Hommage an die Bremerin Ottilie Hoffmann und ihren Kampf gegen Alkoholismus.
Durch solche Themen und Inhalte seien „die Nachbesprechungen und Einbeziehungen ihres Publikums direkter, gesellschaftlich noch aktueller geworden.“ Die Wilde Bühne sei damit ihrem Ziel wieder ein Stück näher gekommen, die vor allem jugendliche Lebenswirklichkeit ihres Publikums mit theatralen Mitteln abzubilden. Mutmachen zum Anderssein habe im Spiel ein anderes Echo als der bloße Konsum medialer Konserve.
Rita R. hat inzwischen als Betreuerin in stationären Einrichtungen für Suchtkranke gearbeitet, war als Betreuerin Suchtkranker im häuslichen Lebensbereich tätig und übernimmt derzeit –als Rentnerin- Nachtwachen wiederum im stationären Bereich dieses Hilfesegments. Sie sieht sich als Betroffene mit ihren Erfahrungen und Fachkenntnissen in Sachen Sucht am richtigen Platz, weiß aber, „dass die menschliche Komponente mehr zählt und dass sie nach den Jahren der Praxis jetzt besser weiß, wovon sie redet“. Dinos sind ja bekannt für ihre Gedächtnisse und offensive Selbsteinschätzung.
Und ganz persönlich sieht sie sich, nach diesen sieben Jahren, ruhiger und gelassener, ihr Status als Oma mag dabei auch eine Rolle spielen. Jedenfalls hat sie „nicht mehr das Gefühl dauernd etwas beweisen zu müssen“. Z.B. die Legitimation bei den Wilden mitspielen zu dürfen.
Neuen Ensemblemitgliedern zeigt sie neue Wege und genießt, nach wie vor, die Gemeinsamkeit bei der Entwicklung neuer Stücke.
„Corona ist wirklich großer Mist, wir brauchen doch unser Publikum! Die Auftritte fehlen. Wenn niemand da ist, kann man niemanden einbeziehen, so wie es unser Konzept vorsieht. Gesellschaftliche Relevanz kommt doch von Gesellschaft und die besteht nun mal nicht aus, in allen Ehren, einem Beleuchter oder aus der Lehrkraft, die dankenswerterweise beim Proben zugesehen hat.“
Sie strahlt aus ihren blauen Augen, wenn sie über die Wilden spricht, immer meistens.