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„Jugendliche spielen am Limit“

Die Theaterpädagoginnen Michaela Uhlemann-Lantow (auf der Bühne) und Jana Köckeritz bereiten die Jugendlichen auf das Stück vor. Die ehemals drogenabhängigen Schauspieler wollen dabei nicht fotografiert werden. Bild: Nina Conrad

Die Wilde Bühne Bremen bereichert die Präventionsarbeit an der Lise-Meitner-Schule

Artikel von Andreas Hapke aus der Kreiszeitung, abgedruckt am 01.12.22.

Drogen, Nacktfotos und häusliche Gewalt: Jugendliche sind häufig mit allerlei Problemen konfrontiert. Um die Präventionsarbeit an der Lise-Meitner-Schule zu unterstützen und Schüler in ihrem Stück mit einzubeziehen, sind Schauspieler der Wilden Bühne Bremen angereist.

Moordeich – Präventionsarbeit wird großgeschrieben an der Lise-Meitner-Schule in Moordeich. Jüngstes Beispiel: das Gastspiel der Wilden Bühne aus Bremen zu Beginn der Woche. Das Theaterensemble, bestehend aus ehemals drogenabhängigen Menschen, ist bundesweit unterwegs, um den Nachwuchs für Grenzerfahrungen zu sensibilisieren; für Themen wie Drogen, Angst, Mobbing, Gewalt und Isolation. Geprägt durch ihre Biografie sind die Schauspieler laut Mitteilung „markante Zeugen und Gestalter ihrer Theaterarbeit“ zugleich. Schon seit Jahren gehören ihre Auftritte zur Präventionsarbeit an der KGS Moordeich.

Wilde Bühne Bremen an der Lise-Meitner-Schule: Schüler werden Teil des Stücks
Anders als sonst waren einige Schüler am Montag selbst aktiv auf der Bühne dabei. Grund: Wegen mehrerer Krankheitsfälle konnte das Theater sein ursprünglich geplantes Stück nicht spielen und hat es gegen die Mitmachvorstellung „Spiel am Limit“ getauscht. Die Jugendlichen des achten Jahrgangs sahen drei Kurzgeschichten zu den Themen Kiffen, Nacktfotos und häusliche Gewalt.

In der ersten Szene etwa erwischt die Lehrerin während einer Klassenfahrt Schüler beim Kiffen. Alle drei müssen den Heimweg antreten, obwohl nur zwei die Drogen konsumiert haben. Wie soll sich der/die zu Unrecht bestrafte Schüler/in verhalten? Wem geht es mit dieser Situation wohl am schlechtesten? Wie könnten die Jugendlichen agieren, damit die Geschichte ein anderes Ende nimmt? Der Lehrerin die Wahrheit erzählen? Oder ist das Verrat?

Gemeinsam sind die Theaterpädagoginnen Michaela Uhlemann-Lantow und Jana Köckeritz nach der kurzen Vorstellung durch die Reihen der Achtklässler gegangen und haben deren Kommentare und Ideen gesammelt. „Ich würde rechtzeitig die kiffende Runde verlassen und mir andere Freunde suchen“, lautete nach Auskunft von Uhlemann-Lantow ein Vorschlag. „Ich hätte der Lehrerin erzählt, dass ich nicht dabei war“, lautete ein anderer. Alle Jugendlichen seien sich einig gewesen, dass es sich um eine realistische Szene gehandelt hätte.

„Unser Ansatz ist es, dass die Jugendlichen sich austauschen. Wir versuchen, ihren Ideen einen Raum zu geben.“
Michaela Uhlemann-Lantow, Theaterpädagogin

„Wir bewerten die Lösungen nicht. Unser Ansatz ist es, dass die Jugendlichen sich austauschen. Wir versuchen, ihren Ideen einen Raum zu geben“, sagt Michaela Uhlemann-Lantow. Auch die Statements der Schauspieler seien nicht als pädagogisch korrekte Einordnungen zu verstehen, sondern als deren Erfahrungsberichte.

Präventionsarbeit an der Lise-Meitner-Schule: Nach der Vorstellung wird das Gespräch gesucht
Im Anschluss an die Szene trauten sich zwei Jugendliche, eine Rolle darin zu übernehmen. Vorab hatten sie erklärt, was sie damit erreichen wollten. Zwei weitere Schüler sprangen nach dem zweiten Stück für einen Schauspieler ihrer Wahl ein. Darin ging es um einen Jungen, der nach dem Beziehungsende Nacktfotos seiner Ex-Freundin verbreitet. Was Jugendliche tun können, wenn sie in ihrem Umfeld häusliche Gewalt erleben – davon handelte die dritte Szene. Für die fanden sich aber keine jungen „Ersatzschauspieler“.

Unmittelbar nach dem Theaterstück schloss sich für die Schülerinnen und Schüler ein Gespräch mit ihren Klassenlehrern an. „Würden wir sofort mit Mathe oder Deutsch weitermachen, würde das Erlebte verpuffen“, begründet die didaktische Leiterin der KGS Moordeich, Nina Conrad. Ihrer Auskunft nach beginnt die Präventionsarbeit im siebten Schuljahr mit dem Thema Rauchen, im achten geht es um Alkohol.

Die Wilde Bühne ergänze dies mit dem Theaterstück im achten und mit der Nahaufnahme im neunten Jahrgang. „Nahaufnahme heißt die Arbeit im geschützten Raum innerhalb der Klasse“, erklärt Nina Conrad. Die Jugendlichen würden das Thema des Theaterstücks unter Leitung der beiden Pädagoginnen und eines Schauspielers noch einmal intensiv aufarbeiten. Dass zwischen Vorstellung und Nahaufnahme ein Schuljahr liegt, spielt laut Uhlemann-Lantow keine Rolle: „Die Jugendlichen erinnern sich ganz genau daran, was gespielt wurde.“

Seinen Auftritt am Dienstag musste das Ensemble aus Krankheitsgründen komplett absagen. Die Vorstellung war für die Klassen des neunten Jahrgangs gedacht, für die das Stück bereits im vergangenen Jahr wegen Corona ausgefallen war. Schule und Ensemble wollen schnellstmöglich einen Nachholtermin finden.

„Wir haben Glück, dass wir die Wilde Bühne an Land gezogen haben. Die sind eigentlich immer ausgebucht.“
Nina Conrad, didaktische Leiterin der KGS Moordeich

„Wir haben Glück, dass wir die Wilde Bühne an Land gezogen haben. Die sind eigentlich immer ausgebucht“, sagt Nina Conrad. Im Januar 2023 werde das Ensemble erstmals Pädagogen der KGS fortbilden. Was ist, wenn eine Situation hochkocht? Muss der Lehrer sofort eine Lösung parat haben? Welche Vorgehensweise hat sich bewährt? Mit solchen Fragen werden es dann alle Klassenlehrer des neunten Schuljahrs an einem Nachmittag für drei Stunden zu tun haben.

„Das größte, was wir an der Schule mitbekommen, ist Kiffen und Alkohol“, sagt Nina Conrad. „Zwischendurch dachte ich, dass Rauchen out ist. Doch seit es die E-Zigarette gibt, ist das wieder gefragter.“ Auf härtere Drogen oder das Dealen damit angesprochen, sagt die didaktische Leiterin: „Ausschließen können wir nichts. Deshalb wollen wir dem Thema angemessen begegnen und unsere Schüler stark machen.“ Dies gelingt auch dank der finanziellen Unterstützung des Fördervereins der Schulen in Moordeich und Varrel.

Die Wilde Bühne Bremen wurde 2003 von den diplomierten Theaterpädagoginnen Michaela Uhlemann-Lantow und Jana Köckeritz gegründet. Ihr Anliegen ist es nach eigener Auskunft, mit den künstlerischen Mitteln der Theaterarbeit Themen vor allem junger Menschen zu artikulieren und dabei vor nichts zurückzuschrecken. Herzstück der Wilden Bühne ist das 14-köpfige Theaterensemble ehemals drogenabhängiger Menschen.


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